Das schriftliche Urteil im Tierschutzprozess ››Martin Balluchs Blog

März 15th, 2012

 

Vor 9 Jahren befreite ich 7 Hühner aus einer Legebatterie und brachte sie in die Notaufnahme der veterinärmedizinischen Uni Wien. Ich teilte der Behörde meine „Straftat“ mit und wurde angeklagt. Die zweite Instanz sprach mich mit deutlichen Worten frei, meine Aktion sei nicht strafwürdig, weil ich im Sinne der Gesellschaft gehandelt habe. Das löste einen großen Druck seitens der Tierindustrie auf die 3 Richter aus, die dieses Urteil gefällt hatten. Ich wurde sogar angerufen und von Richterseite gebeten, den entsprechenden Bericht von unserer Webseite zu nehmen. Dieser Bitte kam ich aber nicht nach, zu wichtig war mir die politische Dimension dieses Verfahrens. Einige Wochen später kam das schriftliche Urteil – und es war total entschärft, es wurde ganz anders argumentiert, es war politisch nicht mehr verwertbar.

 

Bei Richterin Arleth im Tierschutzprozess fürchtete ich Ähnliches. Bei ihrer mündlichen Urteilsverkündung äußerte sie sich ganz deutlich. Danach wurde sie beruflich abgestuft und sicherlich justizintern angegriffen. Jetzt ist das schriftliche Urteil da. Hält es den Vergleich mit dem mündlichen Urteil stand?

Ja. Es hält. Die Richterin hat zwar einige Dinge in das schriftliche Urteil aufgenommen, die nicht nur unnötig sind, sondern auch, zeigen, dass sie hier etwas nicht verstanden hat. Aber in den wesentlichen Dingen hält das schriftliche Urteil, was das mündliche versprochen hat, es ist geradezu radikal!

Warum es zum Freispruch kam:

 

Das Beweisverfahren ergab, dass der Kern der ‚Tierrechtsbewegung‘, der ‚Protestbewegung‘, der Tätigkeit des VGT und der BAT in legalen Tätigkeiten wie z.B. Anmelden und Durchführen von verfassungsrechtlich geschützten Kundgebungen besteht.
[…]
Das gesamte umfassende Beweisverfahren bot keinerlei Anhaltspunkte, wonach Angeklagte, die im VGT tätig sind, für Straftaten verantwortlich sind.
[…]
Das umfassende, erschöpfende Beweisverfahren ergab, dass die ALF keine kriminelle Organisation im strafrechtlichen Sinn ist.
[…]
Es kann nicht festgestellt werden, dass es einen Zusammenhang zwischen Personen, die an Aktionen des ‚zivilen Ungehorsams‘ beteiligt waren und Personen, die Sachbeschädigungen durchführten, gab.
[…]
Festgestellt wird, dass es im Zuge von Versammlungen zu keinen Sachbeschädigungen kam.

 

Einer Firma eine Tierschutzkampagne anzudrohen ist nicht Nötigung:

 

Wenn der Täter ein Ziel verfolgt, auf das er ein Recht hat oder wenigstens zu haben glaubt und der Täter zur Durchsetzung dieses Zwecks mit einem Übel droht, auf dessen Realisierung er ein Recht hat, sollte der Täter straflos bleiben. Das grundsätzliche Recht jedes einzelnen für Belange des Tierschutzes einzutreten und eine entsprechende Bewusstseinsbildung zu erwirken ist unbestritten. Der Zweitangeklagte drohte mit einem Übel, auf dessen Realisierung er ein Recht hat, schließlich gehören Versammlungsfreiheit bzw. Meinungsfreiheit zu den verfassungsrechtlich geschützten Grundrechten in Österreich.

 

Computerverschlüsselung ist unverdächtig:

 

Nach dem EDV-Experten Breitsching, der eine 16 jährige forensische Datensicherungserfahrung in Österreich hat, verschlüsseln Beschuldigte mit politischem Hintergrund deren Dateien. So folgte das Gericht den Angaben des Fünftangeklagten DI Völkl, wonach deshalb im politischen Bereich verschlüsselt werde, weil man dort Problembereiche im Datenschutz erkenne, es bestehe eine Sensibilisierung hinsichtlich der Problematik. Man habe eine gewisse Angst vor einem Überwachungsstaat und vor staatlichen Repressalien.

 

Ziviler Ungehorsam:

 

Die Angeklagten können als ‚Grenzgänger‘ gesehen werden, die in Kenntnis der Rechtslage juristische Grenzen ausloten. […] Dabei wurden von den Angeklagten teilweise bewusst zur Zielerreichung, nämlich z.B. Pelzfreiheit, Übertretungen von Verwaltungsgesetzen bzw. Verletzung von zivilrechtlichen Bestimmungen in Kauf genommen. Es obliegt nicht dem Gericht zu beurteilen, ob diese Art von Gesetzesübertretungen ethisch legitime Mittel zur Verfolgung von Zielen wie z.B. Pelzfreiheit bzw. Gesetzesänderungen sind. Gerichte stehen naturgemäß zur Einhaltung von Gesetzen.

Kronzeuge Plank:

 

Es ist eher davon auszugehen, dass Dr. Plank eine Gelegenheit sah, sich für das – für ihn – vom Erstangeklagten verursachte persönliche Ungemach zu ‚rächen‘. […] In Gesamtschau sämtlicher in der Beweiswürdigung angeführten Umstände waren die belastenden Angaben des Dr. Franz Plank äußerst unglaubwürdig.

Linguist Schweiger:

 

So hält die Gutachtenserstattung insgesamt der vom Gericht vorzunehmenden Plausibilitätskontrolle nicht stand. […] So konnte der Sachverständige die Unklarheitsursache nicht eruieren, was den letztlich zwingenden Schluss bedingte, dass der Befund unbestimmt war. Zusammengefasst ist den Ausführungen des Sachverständigen letztlich nicht klar und eindeutig zu entnehmen, welche Texte er konkret begutachtet hat.

LVT-Chef und SOKO-Chef Erich Zwettler lügt mehrmals vor Gericht:

 

Als schlichte Schutzbehauptung wertete das Gericht die Zeugenaussage des Mag. Erich Zwettler in der Hauptverhandlung am 28. 7. 2010, wonach die ‚VE ein paar Monate‘ gelaufen sei, zumal der Führer der verdeckten Ermittlerin CI Stefan Wappel, sowie die Zeugin ‚Danielle Durand‘ jeweils ausführten, sie sei insgesamt 15 Monate als Aktivistin in der Szene aufgetreten.
[…]
Wenn nun Mag. Zwettler zeugenschaftlich einvernommen ausführte: ‚Ab 1. 1. 2008 hat die Sache rechtlich anders ausgesehen … entschieden worden, dass man keine verdeckte Ermittlung macht‘, dann ist diese Aussage als schlichte Schutzbehauptung zu werten. Von einer alternativ strukturierten Realität kann nicht ausgegangen werden, zumal zum Zeitpunkt der Aussage des SOKO-Chefs Mag. Erich Zwettler der Bericht der verdeckten Ermittlerin ‚Danielle Durand‘ nicht vorlag.
[…]
Wenn Mag. Zwettler weiters angab, nichts von einer Vertrauensperson gewusst zu haben, dann ist das ebenfalls als schlichte Schutzbehauptung zu werden. Der Zeuge AI Raab gab in der Hauptverhandlung an, dass die SOKO-Leitung, die Mag. Zwettler innehatte, wegen einer Vertrauensperson angefragt habe. […] Tatsächlich kam es zum Einsatz der Vertrauensperson VP 481, nämlich Esther Hofbauer.

 

Der Einsatz der verdeckten Ermittlerin war illegal:

 

Als Zielvorhaben der SOKO wurden […] Erkenntnisgewinn über Aktivisten, Ermittlungen, Klärung abgelaufener Straftaten […] angeführt. Als taktische Maßnahme fand sich die verdeckte Ermittlung. […] Des weiteren findet sich die Formulierung, dass im Bereich der Strukturermittlungen große Fortschritte gemacht worden seien, und dass man besonderes Augenmerk auf weitere Strukturermittlungen im Hinblick auf § 278a StGB richten werde (Ziele, Kommunikation, Finanzierung, Planung, Arbeitsteilung, geistige Abschottung). Des weiteren findet sich der Passus ‚Fortsetzung des VE-Einsatzes (ab 1. 1. 2008 von StA genehmigungspflichtig, was auch geschehen wird)‘. Daraus ist eindeutig zu würdigen, dass der Leiter der SOKO-Bekleidung Mag. Erich Zwettler sehr wohl wusste, dass ab 1. 1. 2008 eine geänderte Rechtslage für den weiteren Einsatz der verdeckten Ermittlerin ‚Danielle Durand“ vorliegend war und die Fortsetzung des VE-Einsatzes einer Genehmigung der StA bedurfte. Eine diesbezügliche Genehmigung wurde nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens jedoch nicht eingeholt.
[…]
Erst durch Recherchen der Angeklagten konnte im Zuge der Verteidigungsstrategie hervorgebracht werden, dass ‚Danielle Durand‘ eine lang eingesetzte verdeckte Ermittlerin war. Nachdem aus dem Dokument und dem Inhalt des Berichts der VE hervorging, dass es sich um Strukturermittlungen handelte, daher eine Anordnung der StA Wr. Neustadt für den Einsatz der verdeckten Ermittlerin ab 1. 1. 2008 erforderlich war – diese Anordnung jedoch nicht vorlag – sah sich Mag. Zwettler veranlasst, in der Hauptverhandlung diese Schutzbehauptung auszuführen.
[…]
Das Gericht geht davon aus, dass Mag. Zwettler [beim VE-Einsatz] von Strukturermittlungen ausging, zumal er dieses Wort selbst in seinem Zwischenbericht anführte. […] Aus dem Bericht der VE ergeben sich systematische, über längere Zeit durchgeführte Ermittlungen, Strukturermittlungen.
[…]
[Für den VE-Einsatz] ist ein Interesse an der Aufklärung vergangener Straftaten eher lebensnah. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass die verdeckte Ermittlerin im Zuge ihrer Tätigkeit Flaschen am 12. 5. 2007 und am 23. 6. 2007 sicherte, aus denen zuvor getrunken wurde. Das macht nur Sinn, um DNA zu gewinnen, die mit den DNA-Merkmalen der einliegenden DNA-Profile von unbekannten TäterInnen verglichen werden kann.

 

Es gibt Meinungsfreiheit:

 

Bei manchen Angeklagten war ein Sympathisieren mit der ‚ALF-Ideologie‘ nachweislich, eine Gesinnung, die in einer Demokratie als zulässig erachtet werden muss. Mag es auch für den Durchschnittsbürger bedenklich sein, dass manche Personen der Tierrechtsbewegung Sachbeschädigungen, Brandanschläge, Tierbefreiungen, somit Straftaten nach dem Strafgesetzbuch, als legitimes Mittel zur Verfolgung ihrer Ziele sehen, ist dies alleine für sich gesehen strafrechtlich im Hinblick auf § 278a StGB unerheblich. […] Diese Gesinnung kann als Abfluss der Meinungs- und Gesinnungsfreiheit in einer Demokratie gesehen werden.

 

Die Befreiung von Nerzen aus 0,27 m² Käfigen ist Tierquälerei:

 

Auch wenn die Tiere vor ihrer Entziehung aus den Käfigen in diesen nicht artgerecht (Anmerkung: Die Art der Haltung der Minks war damals nicht gesetzwidrig) gehalten wurden, entsprach dieser Zustand doch jenem, den sie zeitlebens gewohnt waren. Der Stress, unter dem sie in den Käfigen litten, war daher geringer als der, dem sie nach ihrer Freilassung ausgesetzt waren.

 

Eine Schweinebefreiung durch TierschützerInnen ist nicht Tierquälerei:

 

Hinsichtlich des angeklagten Deliktes der Tierquälerei ist darüber hinaus anzumerken, dass ungeachtet des mangelnden Nachweises objektiver Tatbestandserfüllung auch der notwendige Vorsatz nicht erweislich wäre.

 

Zur langen Prozessdauer:

 

Die Hauptaufgabe des Strafgerichts besteht jedoch nicht darin, ein Verfahren in übermütiger Raschheit zu Ende zu führen.

via Das schriftliche Urteil im Tierschutzprozess | Martin Balluchs Blog.

No comments yet»

Leave a comment